14
Feb
2018
51

The German Angst

Irgendwann kam der Tag, an dem ich herausfand, dass ich alles sein könne, was ich wollte. Er begann mit dem wundervollen Satz von Paul Arden: „Es kommt nicht darauf an wer du bist, sondern was du sein willst.“ Dieser Tag der Erkenntnis kam bei mir etwas spät, aber er kam. Zuvor hatte ich mich aus irgendeinem Grund immer an das geklammert, was ich schon konnte und von dem ich ausging, dass es eben so sei. Ich hatte das System nie in Frage gestellt. Wenn ich darüber nachdenke, welches Füllhorn geplatzter Ideen in meinem Leben nur der Idee folgten, die Raten für irgendeinen Mittelklassewagen bezahlen zu können… Und zwingend wollte ich in einem dieser weiß gestrichenen Hamburger Stadtteile wohnen… was für ein Scheiß. Aus heutiger Sicht.

Dem Leben  – das halten wir mal fest – fehlt Mitleid für die Ignoranz des eigenen Glückes. Welch zweifelhaften Zwang, das eigene Wohlbefinden aktiv zu ignorieren folgt man da eigentlich? Der Angst, etwas falsch zu machen!? Das Leben ist doch keine Scheiß-Hirnchirurgie, da kannst du eigentlich nicht viel falsch machen, außer du stellst keine Fragen. Fragen sind wichtig! Wie die Frage nach dem Warum. Aber die stellst du dir nicht in einer dunkelblauen Steppjacke auf der Hundewiese an der Alster, den Retriever rufend, mit dem Handy am Ohr. Da musst du schon mal stolpern. Im Leben und so. Die maßvollen Katastrophen bringen dich weiter… ich weiß wovon ich rede. Aber da ist diese Scheiß-German-Angst im Nacken, vor Brüchen im Leben und ausweglosen Situationen, die den Lebenslauf endlich mal wieder zwingen würden, eine neue Richtung einzuschlagen. Diese Angst, dass der Personaler irgendwann vor dir sitzt und dein Leben bewertet, mit ner Drei-Minus. Einer, der aus seinem Büro nur in den Betriebsferien rauskommt. Dabei sind die so reinigend, die Brüche und ausweglosen Situationen. Mit jedem Hinfallen lernst du das Dreck abklopfen von den Knien und kriegst es mit der Zeit immer besser hin.

Zu glauben, es gäbe Sicherheit im Leben wenn du Selbiges einfach nur brav im Vollkasko einrichtest, ist naiv und ich finde irgendwie hat es die eigene Existenz nicht verdient. Die Kontrolle über dein Leben hast du nicht wenn du an allem festhältst was man dir hinhält, sondern wenn du loslässt und bereit bist dich dabei zu verändern.

Der Sinn des Lebens ist ein sinnvolles Leben (Robert Byrne)

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49 Responses

  1. Mal wieder sehr treffend und genau die Gedanken getroffen, die mich momentan beschäftigen bzw. fesseln.
    Aber sehr aufbauen und motivierend zu hören, dass es dir nicht anders geht bzw. ging! Danke dir!

  2. Das sind wahre Worte Steffen! Es gibt sehr viele Menschen die wirklich täglich jammern und gackern, ändern tun sie leider nichts. Schöne Grüße

  3. Susanne Klostermann

    Ein ganz dickes Dankeschön für diesen wundervollen, Mut machenden Text, der die Sache so was von auf den Punkt bringt!

  4. Ich würde mir da vor allem bei den Kommentaren mehr Wertfreiheit wünschen. Der Eine mag das Risiko, alles auf den Kopf zu stellen, eingehen – die Umstände, Familie usw. lassen dies zu – der Andere bewertet die vermeintliche Sicherheit höher – vielleicht lassen es in dessen Bewertung die Umstände, Familie usw. es eben auch nicht zu.
    Da gibt es doch kein Richtig und kein Falsch. Nur egal wie man sich entscheidet – toll wäre es, dazu zu stehen und das, was man macht, mit Herzblut zu machen. Die Erfüllung muss ja auch nicht für jeden im Job liegen.

  5. Toller Artikel, Steffen!

    Mindestens genauso interessant finde ich die Kommentare dazu. Zeigen sie doch wieder, dass alles im Kopf beginnt. Zwischen den Ohren. Da hat jeder seine eigene Welt, in der er lebt. Der eine frei, der andere hinter Gitter.

    Ich habe vor knapp 6 Jahren mit 44 Jahren meinen Job in der Bank geschmissen und mich selbständig gemacht. „Trotz“ zwei Kindern, einer Frau und einem abzuzahlenden Haus. Es hat irgendwie bis heute funktioniert und ich habe es nie bereut.

    Hier in Deutschland wirst du vom Sozialnetz aufgefangen. Was kann da passieren? Ja, blaue Flecke, blutige Knie. Und? Du mußt nur immer wieder aufstehen, wie Steffen schreibt. Nur wer liegen bleibt, sich aufgibt oder anderen die Schuld gibt, der hat verloren. Das hat er aber so oder so. Entweder mit Hartz IV auf dem Sofa oder in seinem Job den er ohne Psychopharmaka nicht durchhält.

    Selbständig sein ist keine gerade Linie nach oben. Es ist ein ständiges auf und ab. Ständig neue Herausforderungen die nach Lösungen schreien. Ich werde mich wohl nie an mein stark schwankendes Einkommen gewöhnen. Ich muß auch hier eine Lösung dafür finden und ich werde sie finden. Diese Lösungen fallen einem nicht vor die Füße, wenn man nicht bereit ist, kontinuierlich seinen Horizont zu erweitern.

    Wie gesagt, jeder hat seine ganz eigene Welt im Kopf. Für mich ist alles ist besser, als mein Leben mit einem ungeliebten Job zu verplempern.
    Das Leben ist keine Generalprobe!

    LG Andreas

    1. Hans

      werd mal 15 – 20 Jahre älter und/oder Krank. – dann ist das Häuschen u.U. ganz schnell weg und auch ggf. deine Kundschaft.
      Und was das soziale Netz angeht: schon mal von H4 mit allen Einschränkungen und Auflagen gelebt?

  6. Eigentlich nichts neues. Das _wissen_ wir alle. Eine Frage, die leider nicht behandelt wurde ist: Wie kommt man von diesem Wissen in das tun? Und das habe ich vermisst. Diese Frage kann nur jeder für sich selber beantworten heißt es. Aber ich denke, Geschichten können dazu beitragen, dass Leute sich leichter tun, dieser Frage für sich zu beantworten. Vielleicht wäre es möglich, deine Geschichte zu hören, wie du von diesem Wissen ausgehend dein Leben verändern konntest?
    Lg, Martin

    1. Bei mir hat das mit Bücher lesen, Workshops besuchen und Podcasts hören bisher ganz gut funktioniert. Das wichtigste dabei, was leider die meisten vergessen, ist das TUN. Die meisten warten dann, das was mit ihnen gemacht wird. Auch merke ich immer wieder, dass es Zeit braucht, die ganzen „negativen“ Glaubenssätze zu finden und zu modifizieren oder eliminieren.
      LG Andreas

  7. Martin Gottwald

    Hallo Steffen,

    Deshalb habe ich Mitte 2015 meinen Job an den Nagelngehängt (zuletzt 10 Jahre als CFO in der Chemie), bin ein Jahr durch Afrika gereist und mache derzeit eine Lehre als Tischler (mit 45!) 😉

    Danke für die toll Geschriebene Lebensweisheit!

    Grüße

    Martin

  8. Pingback : Scheitern für Anfänger – Augen Blicke

  9. Tina

    „Auf der anderen Seite vom Pferd gefallen, ist auch nicht geritten.“

    Vor vielen Jahren sagte mir ein alter Mann einmal, dass es keine Lebenskunst sei, vor jeder Schwierigkeit davonzulaufen und ständig auf der Suche nach Neuem und vermeintlich Besserem zu sein. Mit dem gut zurecht zu kommen, was sich einem bietet, erfordere echte Größe.

    So gibt es viele Möglichkeiten auf das Leben zu blicken. Die einen verwurzeln sich, die anderen sind Reisende. Warum sollte nur eins davon richtig sein?

    Viele Grüße
    Tina

    1. Ralf H. Badera

      „Mit dem gut zurecht zu kommen, was sich einem bietet, erfordere echte Größe.“ – Nicht ganz. Denn wir selbst haben zu einem wesentlichen Teil selbst in der Hand, was sich uns bietet.

    2. Heiko

      Das heisst also, ich muss ein Ding durchziehen, koste es was es wolle? Sicher, bei jeder Kleinigkeit aufgeben ist auch keine Option, aber wenn mir ein Job derartig stinkt und nervt, dann muss ich einfach die Notbremse ziehen und was neues machen! Ich hatte diese Situation bereits einmal vor 18 Jahren, habe gekündigt und was neues, besseres gefunden. Heute habe ich eine ähnliche Situation und bin auch dabei mich anders zu orientieren. Weitere zehn oder zwanzig Jahre in diesem momentanen (sicheren) Job? Nein, eine Horrorvorstellung!

  10. Norbert Kauer

    Alle 7 Jahre verändert sich der Mensch. Im Schnitt. Der Eine merkt’s, der Andere nicht. Der Eine will’s, die meisten Nicht.

  11. Hans

    Naja, alleine für sich kann man vielleicht negieren, dass man nicht weiß wie man im nächsten Monat die Miete bezahlen soll und wie man satt werden soll. Mit Familie wird’s noch schwieriger.
    Außerdem fällt nicht jeder immer wieder auf die Füße. Genug Obdachlose, Alkoholiker und Junkies wie auch die meisten H4ler belegen ganz klar, dass man fürchterlich abstürzen kann. – Und dann ist da niemand, der das lautstark beklatscht und bejubelt, sondern da bleibt dann nur Schweigen und Einsamkeit …

    1. Christiane

      Danke, das das hier gesagt wird. Grundsätzlich ist es richtig, was der Artikel beschreibt, aber es ist eben auch so, das das bestehende System Menschen immer weniger Möglichkeiten zur Veränderung und zum wieder-auf-die-Füße-kommen läßt, z.b. Die Krankenversicherungspflicht und die Beitragshöhen selbst für Geringverdiener lassen gerade Menschen die in die Selbstständigkeit wollen immer weniger Luft. Hier zeigt sich auch deutlich das es nicht immer nur der Betroffene ist, der ums verrecken Sicherheiten will, sondern das diese eben immer mehr auch staatlich verordnet werden. Für mich beschreibt der Artikel die Realität EINES Menschen, die er sich scheints zum glück geschaffen hat…ohne die anderer zu sehen, die das aus welch individuellen wie auch systemischen Gründen nicht schaffen…oder NOCH nicht schaffen;)
      Irgendwie haben Menschen scheints gern Schwierigkeiten über den eigenen Horizont hinaus zu sehen.

  12. Hallo Steffen,

    als ob du Gedanken lesen könntest. Du beschreibst meine aktuelle Situation, meine Gedankenwelt und Gefühlswelt sehr treffend.

    Freu mich darauf dich auf der Mindmap2018 in Mannheim wiederzusehen. Vielleicht schaffen wir ja auch einen kurzen Plausch.

    Gruß

  13. Jepp, alles richtig, alles durch. Vor 4 Jahren kompletter Bruch: Leben auf den Kopf gestellt, nachgedacht wie man und mit wem man leben möchte und alles hingeschmissen und neu begonnen – aber nicht von null. Wie auch – man hat ja schon 39 Jahre im Rückspiegel. Aber danach lief das Leben auch besser. Und noch einer Disruption stehe ich positiv gegenüber. Und diese wird kommen.

  14. Pingback : Nachdenklich – Augen Blicke

  15. Wunderbare Worte und genau das habe ich vor 6 Jahren auch gemacht, aber die German Angst holt mich trotzdem immer mal wieder ein. Dann frage ich mich, ist das alles so richtig was ich mache, wenn die Auftragslage mal zurück geht und man sich überlegt, durch das Jahr zu kommen. Nur im Grunde meines Herzens, weiß ich, ich bin genau hier richtig, hier muss ich sein und gehöre ich hin, ohne Vollkaskoschutz.
    Grüße aus Köln
    Frank

  16. m.

    Hmm…..hab mal ne Famili mit drei Kindern! Da kannst man man gerne auf reinigende „Brüche und ausweglosen Situationen“ verzichten. Kann ich Dir aus eigener Erfahrung sagen. Denn unter Umständen kann sich nämlich auch etwas ganz schön zum Negativen verändern. Ich bevorzuge es da denn doch eher nach Möglichkeit auf der einen Seite die Fäden und das Steuer fest in der Hand zu behalten um auf der anderen die Abenteuer des Lebens genießen zu können. Das hat auch nichts mit GermanAngst zu tun sondern Verantwortungsbewusstsein!

  17. Udo Gehrmann

    Hi Steffen,

    „Dem Leben fehlt Mitleid für die Ignoranz des eigenen Glückes.“ Was für eine unglaublich tiefsinnige Feststellung. Ich habe mir das jetzt mal in meine Sammlung erinnernswerter Zitate notiert. Es findet sich dort nun zwischen denen von Twain, Konfuzius, Kästner, Murphy, Edison, Mandela und anderen. Freue mich auf unseren Workshop.

    Gruß Udo

  18. ich glaube, wenn man Verantwortung für andere Menschen trägt, dann ist ein kleines Maß an Sicherheit nicht schlecht, nur sollte man sich dann auch nichts vormachen. Andererseits ist dieses Verhalten, Dinge zu verändern, in meinem menschlichen Weltbild sogar verankert und hängt möglicherweise mit dem zusammen was man das „verflixte siebte Jahr“ nennt. Eine unbewusste Prüfung ob man noch mit dem Menschen zusammenpasst mit dem man den Nachwuchs großgezogen hat. Viele zerschlagen dann ihr sicheres Nest und machen sich auf den weg zu etwas neuem. Möglichweise überträgt sich diese Erkenntnis auch auf Beruf und Leidenschaften… Aber ich kenne mich da nicht aus… Ich finde aber das du Recht hast mit dem was du schreibst. Man sollte hin und wieder einmal prüfen ob die Träume und Ziele noch mit dem Weg zusammenpassen den man geht.

  19. Wohl war. Das schwere dabei ist die Selbsterkenntnis, zu merken, dass Du eben nur fremdgesteuert auf (vermeintlich) „Nummer sicher“ spielst. Noch schwerer ist es, wenn dieser krasse Bruch gar nicht kommt. Was dann, merkst Du es selber, vielleicht! Aber vielleicht hilft es auch einfach mal darüber zu lesen, dann darüber nachzudenken. In diesem Sinne: Danke für diesen tolle. Beitrag!

  20. Vielen lieben Dank für diese offenen Worte Steffen ! Ich finde mich selber da sehr stark wieder. Denn nur eines ist wirklich sicher auf dieser Erde, dass wir sterben müssen !

    Gruss

    Holger

  21. LG Marcel

    Hi Steffen, das hast du wirklich sehr schön geschrieben und Du hast so unfassbar recht damit.
    Es ist wirklich komisch, dass fast alle Menschen erst eine negative Erfahrungen machen müssen, bis gemerkt wird, was das Leben alles zu bieten hat.

  22. Recht hast du mein Lieber. Du weißt ich sehe es genau so und lebe danach. Trotzdem kenne auch ich dieses beklemmende Gefühl, welches sich still und heimlich an nasskalten Wintertagen in mein Leben schleichen will. Und gnade Gott ich lasse mich auch nur ein Stück weit darauf ein. Schon beim leisesten Zweifel nach einem Missgeschick wächst diese Angst rasant. Unsere Sehnsucht nach Sicherheit ist wie eine Droge und wir werden von allen Seiten darin bestärkt nicht davon abzulassen. Die Glücksverkäufer machen auch einen guten Job. Aus so einer Abhängigkeit wieder herauszukommen braucht es nicht nur Mut, sondern vor allem eine neue Sehnsucht, die nach dem wirklichen Leben.

  23. Fabian

    Ganz groß, Steffen! Sehr schön geschrieben. Ich finde auch, dass dieses ständige Nach-absoluter-Sicherheit-Streben als das Wichtigste im Leben verkauft wird. Dabei bleiben so viele Träume unverwirklicht, weil sich niemand mehr traut.