10
Okt
2011
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Polnische Gastlichkeit

Während ich meine Wochenenden mit dem letzten Feinschliff an meinem Buch verbringe, wird es draussen langsam Herbst. Ich arbeite mich durch die Anmerkungen des Lektorats und werd langsam stolz.  Und ich denke, es wird Zeit, Euch mal einen kleinen Einblick zu geben. Mein Logbuch „Abenteuer Fotografie“ ist eine lose Ansammlung fotografischer Erkenntnisse, witzigen und nachdenklichen Geschichten und vielen Fotos. Auch diese kleine Anekdote findet sich darin:

Ich war heute das erste mal in Polen. Über 40 Jahre musste es dauern, bis ich meinen verehrten Fuss auf den Boden unseres Nachbarn setzte. Ich hatte eine Menge Klischees im Kopf und ein Dutzend Witze in der Tasche. Doch warf ich heut alles über Bord.

Wir fuhren über Buckelpisten, durch dünn besiedelte Landschaften, vorbei an Bauern, die mit ihrem Pferd am Kiosk Bier holten. Ich sah bunt geschmückte Jesus-Kreuze auf Dorfplätzen und mir wurde herzlich zu gewunken, als ich mich mit meiner Bronica gegen die untergehende Sonne stellte, um zu fotografieren.Eine polnische Dorfhochzeit mit hunderten Gästen und geschmücktem Pferdewagen vor einer Kirche. Dorf um Dorf, warteten die Leute an der Strasse auf das Brautpaar. Kleine Präsente auf eigens platzierten, kleinen Tischen. Unser Autoradio blieb aus und wir genossen diesen warmen und sonnigen Oktoberabend bei offenem Fenster.

Zwischen zwei Dörfern stehen da am Strassenrand drei Gestalten. Sie sehen aus, als wären sie für eine wichtige Filmszene eines Fatih Akim Film gecastet und angezogen. Fast schon ein bisschen übertrieben, würde ich meinen, sähe ich sie im Kino. Mit stolzer Haltung stehen sie da am Strassenrand und vor ihnen ein kleiner Tisch mit einer Flasche Schnaps. Wir fahren an ihnen vorbei und mir will es nicht gelingen, über sie zu lächeln, wenngleich sich das anböte. Nein, sie tragen Würde in sich und entwaffnen damit jeden weiteren Gedanken.

Ein paar Kilometer weiter, will ich sofort umkehren. Ich würde es mir mein Lebtag nicht verzeihen, wenn ich diese drei Gestalten nicht wenigstens versucht hätte, zu fotografieren. Wir kehren um und haben Glück. Auf meine alte Zenza Bronica weisend, bitte ich die Drei um ein Foto. Und meine alte, schwarze Kamera öffnet die Herzen der drei Männer mit der Flasche. Keiner von uns versteht ein Wort des anderen, doch sie werfen sich stolz in Pose und ich darf sie fotografieren.

Ich sitze im Auto und schaue wortlos auf die dünn besiedelte Landschaft. Stolz und glücklich, diesen Moment festgehalten zu haben.

 

 

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Beute: Zenza Bronica ETRSi

14 Responses

  1. Pingback : Was war, was wird… | Der Stilpirat

  2. Vor fast zwanzig Jahren war ich das erste Mal in Polen. Im Winter – extrem kalt…ich wollte nie mehr hin. Nach einer Pause von drei Jahren bin ich dann doch wieder hingefahren, diesmal im Sommer und siehe da: Polen ist ein ganz wunderbares Land mit sehr gastfreundlichen Menschen. Seither fahre ich mehrmals im Jahr hin….in diesem Sommer die ganze polnische Ostseeküste entland: Ein Traum!

  3. Roman

    Ich schließe mich gerne meinen Vorkommentatoren an: schöne Geschichte, schöne Fotografie. Danke für diesen Augenschmaus!

  4. Eine wirklich schöne Geschichte, die die Vorfreude auf Dein Buch noch steigert. Vorbestellt ist es schon und ich bin wirklich gespannt.

  5. Anton

    Das interessanteste hast du aber gekonnt verschwiegen: was bewegte dich überhaupt dazu nach Polen, dazu in eine so abgelegene Gegend zu kommen, nach über 40 Jahren erfolgreicher Abstinenz!?

  6. Lena

    jedes land &die menschen sind etwas ganz besonderes, daher finde ich es wunderschön so solche momente festhalten zu können, tolles foto!

  7. Nico

    Genau so ging es mir auch mit einem Motiv.

    Über Monate hinweg habe ich aus der Bahn ein wunderschönes Motiv betrachten dürfen. Ein knorriger alter Baum, unter dem eine ausrangierte Sitzbank eines Bahnabteils stand. Ich hab‘ mir so fest vorgenommen irgendwann da mal vorbei zu fahren um ein Foto zu machen. Ich hab‘ zu lang überlegt. Eines morgens, voller Vorfreude gleich wieder an meinem Motiv vorbei fahren zu dürfen, kam der Schlag ins Gesicht. Sie war…weg! Die Bank. Ein winzig kleiner Teil von mir ist in dem Moment gestorben.

    Auch heute noch denke ich jedes mal an dieses tolle Motiv, wenn ich dort vorbeifahre.

    Heute würde ich mir das nicht mehr durch die Lappen gehen lassen.

    Nicht immer nur drüber nachdenken, sondern einfach machen!

    Du hast alles richtig gemacht!