24
Feb
2016
18

als mir kurz vor dem Einschlafen eine Spinne von der Decke ins Haar fiel und ich überlegt hatte, nochmal aufzustehen.

Einen Blog zu betreiben wäre für ihn der gespielte Sex auf der Bühne in der Großen Freiheit. Er müsse dann immer nach unten schauen, wenn er dort vorbei läuft. Hach Gott, warum nur diese Selbstdarstellung, das ist ja peinlich, mach doch einfach Fotos, hat er gesagt. Und ich erinnerte mich an den Moment, als mir kurz vor dem Einschlafen eine Spinne von der Decke ins Haar fiel und ich überlegt hatte, nochmal aufzustehen. „Die Agenturen…“ (seine Lieblingszielgruppenformulierung), sprach er weiter, „…mögen das gar nicht, da bist du sofort unten durch, das Netz vergisst nichts und das bei deinem Talent…“ Er unterbrach mitten im Satz bunt lutschte den Rest aus der Zitronenscheibe seines Wodkas. Ich fand, dass das Scheiße aussah.

Und die Spinne in meinem Haar, krabbelte – das spürte ich – in Richtung Gesicht. Es wurde also Zeit, etwas dagegen zu tun. Spinnen sind ja, an-und-für-sich, immer ein Zeichen dafür, dass es dem Haus, in dem du wohnst, gut geht. Wenn du keine Spinnen hast, solltest du dir Gedanken machen. Aber im Gesicht, in der Nacht und dann noch kurz vor dem Einschlafen… Mir war das Haus und sein Zustand scheiß-egal.

„Hm,“ sagte ich, „Agenturen also.“, „Ja…“, sagte er, „…du musst dich mit ´ner Aura umgeben, damit sie das Gefühl haben, einen echten Künstler zu buchen. Dein Scheiß-Seelenstriptease auf deinem Blog kommt rüber wie ein notgeiler Mittvierziger, der seinen Leib anbietet. Fürwahr!“  Wodka löst die Zunge, sonst hätte er nicht „fürwahr“ gesagt und ich versuchte mich daran zu erinnern, wie die Geschichte mit der Spinne seinerzeit eigentlich ausgegangen war.

Und auf dem Heimweg musste ich Tanken. Ich stand da allein um 23:30 Uhr an der Zapfsäule und dachte nach. Der Blog ist ja irgendwie ein bisschen wie ein Einstecktuch –  das braucht auch keiner, aber mir gefällt es. Außerdem mag ich den Teil mit der Reflexion – also des Blogs, nicht des Einstecktuches. Die Bocksprünge meines Lebens könnte ich allein absolvieren, ohne Publikum, da hat er Recht, aber das wäre irgendwie nicht das Selbe. Obwohl ich zugeben muss, dass ich bei ein-zwei Bocksprüngen mit den Eiern hängen geblieben bin, fürwahr. Ich würde ungern enden wollen, als alter Mann ohne Aussicht auf einen Rückblick, verbittert zum einen  – und mit dem Wissen zum anderen – dass mich Agenturen mochten.

23 Responses

  1. Klaus

    Wer braucht heute noch einen Blog, wer liest noch, wer guckt sich noch Bilder an? Wer hat noch Vorbilder? Wer benötigt geistige Anregungen? Wer möchte noch aktiv an einem Workshop teilnehmen?
    Ist ja gerade Fastenzeit.
    Wer will wirklich von allen und jeden geliebt und beklatscht werden?
    Wer hat heute noch Ecken und Kanten?
    Alles ist abgeleckt und glatt.
    Klare Worte sind selten. Bleib dabei.
    ‚Nacht.

  2. Peter

    Schön, ich liebe Deine Bücher und Deinen Stil.

    Lass doch bitte mal Deine Fäkalsprache sein, das ist überflüssig und am Ende denkt man noch, dass Dir die Worte fehlen.

  3. So!
    Ich las mit großer Freude Deinen Vietnam-Blog und habe natürlich das Logbuch verschlungen.
    Ich war „mit Dir in Israel“ und habe das Abenteuer Fotografie mit Dir erlebt. Ich durfte mit nach Ghana
    und dann auch noch nach NY.
    Aus Deinem Herzen eine Mördergbrube zu machen, passt ebenso wenig zu Dir, wie Dich zum Bademoden-Modell zu machen.
    Die Frage, ob Du eigentlich besser schreiben als fotografieren kannst, stellt sich -je nach Anlass- immer wieder!
    Aber der fotografierende Blogger ist erfolgreich so wie auch der bloggende Fotograft erfolgreich ist. Und das nicht, obwohl er
    die Dinge anders macht, als der Mainstrain — sondern weil!
    Steffen Böttcher hat etwas zu sagen! In Bild und Wort!
    Steffen: Was dem Intellektuellen der Roger Wilhelmsen gewesen ist, wirst Du einst für Teile der Fotografie — Szene gewesen sein.
    Jemand, der voller Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit und Neugier auf Menschen und Situationen zu gehen kann und im
    HIER UND JETZT lebt.
    Bleib bitte weiter wild und sei der Pirat der Szene.
    Ich sehe und lese gern von Dir.
    Und Deine Meinung muss mir nicht gefallen — aber ich will mich daran reiben.
    Keep on blogging!

    Claus

  4. Rein stilistisch wäre „halb zwölf“ passender gewesen als 23:30 Uhr. Aber das nur am Rande. Ansonsten nehme ich an, Du könntest hier auch „Alle meine Entchen“ rezitieren und würdest nur Lobgesänge einheimsen. Das ist fast zwangsläufig, wenn man auf seinem eignen Blog im Wesentlichen nur Jünger versammelt. Also Obacht, nicht die Bodenhaftung verlieren ob des nicht Enden wollenden Zuspruchs. Ich musste in der Schule genug solcher Prosa lesen, die hoch kompliziert das ausdrückte, was man auch in drei Sätzen hätte aussagen können. Mein Fall ist es nicht. Aber im Prinzip bin ich ja auch irrelevant.

  5. Hartmut

    „Ich will unter keinen Umständen ein Allerweltsmensch sein.
    Ich habe ein Recht darauf, aus dem Rahmen zu fallen – wenn ich es kann.
    Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten.
    Ich will kein ausgehaltener Bürger sein, gedemütigt und abgestumpft, weil der Staat für mich sorgt.
    Ich will dem Risiko begegnen, mich nach etwas sehnen und es verwirklichen, Schiffbruch erleiden und Erfolg haben.
    Ich lehne es ab, mir den eignen Antrieb mit einem Trinkgeld abkaufen zu lassen. Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten, als ein gesichertes Dasein führen; lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolgs als die dumpfe Ruhe Utopiens.
    Ich will weder meine Freiheit gegen Wohltaten hergeben noch meine Menschenwürde gegen milde Gaben.
    Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und zu handeln, der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen: dies ist mein Werk.
    Das alles ist gemeint, wenn ich sage: Ich bin ein freier Mensch.“

    Albert Schweitzer (1875 – 1965), deutsch-französischer Arzt, Theologe, Musiker und Kulturphilosoph, 1952 Friedensnobelpreis

  6. Danke … dass ist der Steffen Böttcher, den ich richtig gut leiden kann. Nicht der Vermarkter, der zum Zwecke in die Knie geht und sich für verbiegt. Die Agenturen sind nichts weiter als Relikte, die nach dem Schema „Haben wir schon immer so gemacht.“ arbeiten. Genau wie Regeln, seinen eigenen Namen als Fotograf zu benutzen … Regeln sind zum brechen da. Vor allem, wenn sie nicht in das „Sei Du selbst“ passen. Danke für diesen Post, es macht wieder Spaß hier zu lesen. Auch wenn Dir unsere Meinung scheiß-egal sein kann… fürwahr!

  7. HA! Ein Werber. Oder soetwas in der Art. Vergiss ihn. Ihn und seine ganze Mischpoke. Die Zukunft der Werbung sieht düster aus. Auch wenn sie sich ständig für aufgewärme Trends selbst feiern bis der Arzt kommt. Da kannst Du am Ende Künstler sein wie Du willst, sie werden Dich im Preis so lange drücken und in der Kreativität so lange knechten, bis nichts mehr von Dir übrig ist. Du kennst das, Du warst einer von ihnen 😉

  8. Und da ist der Beweis, Betrunkene sagen nicht immer die Wahrheit. Oder wenn doch, dann wird es immer jemand geben (wie in diesem Fall mich) die deinen Blog lieben und sich auf jeden Beitrag freuen. Weil die Gedanken, die du mit uns teilst, dich so nahbar machen.
    Ok, ich bin keine Agentur.. aber, wenn eine Agentur dein Talent zum schreiben nicht erkennt, dann isses halt ne doofe Agentur.

  9. Hey Stephen. Ich denke, dass Marilyn Manson Dir ein Begriff ist. Dieser Musiker. Dieser Künstler. Dieser, mit den dunklen schwarzen Sachen und der düsteren Stimmung. Man muss ihn nicht mögen. Und man kann auch scheiße finden, was er macht. Das ist kein Problem. Ob Marilyn Manson einen Blog führt? Keine Ahnung. Ich glaube nicht. Ich weiß es nicht. Und das ist auch vollkommen egal. Aber es gibt eine Sache, die er wirklich großartig gemacht hat. Irgendwann kam ein Fan zu ihm. Er schaute ihn voller Freude an und sagte zu ihm: „Ich möchte gerne so sein wie Du.“

    Marilyn Manson blickte ihn an. Ob er dabei gelacht oder sich gefreut hat, weiß ich nicht. Aber er antwortete ihm: „If you want to be like me, be yourself – Wenn du sein willst wie ich, sei du selbst!“

    Sei Du selbst. Ich weiß, dass Du Du selbst bist. Keine Kopie. Kein Abklatsch. Da ist das Einstecktuch. Die weißen Kroko-Lederschuhe. Der Schnurrbart. Dein Blog. Das alles gehört zu Dir. Das alles, es passt zu Dir. Und Du darfst es nur verändern, wenn Du es willst.

    Glaubst Du das echt? Glaubst Du, dass Agenturen Dich nicht mögen, weil Du einen Blog führst? Nein. Das glaube ich nicht. Und wenn dem doch so ist, dann ist eben jene Agentur eh nicht die richtige Agentur. Dann ist sie nur eine Nummer in einer Aneinanderreihung von Zahlen. Von vielen Zahlen.

    Am Ende bereuen wir die Dinge, die wir nicht getan haben. 😉