21
Jan
2013
8

Nam Dinh und mein Vietnam-Food Abenteuer

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Mit Melancholie im Herzen verlasse ich Tuan Chau und die Halong Bay. In nur zwei Tagen gab mir diese Insel und die Viethouse Lodge das Gefühl der Vertrautheit. Mit Keith Jarrets „Cologne Concert“ auf den Ohren, durchqueren wir die vietnamesische Provinz in Richtung Süden. Nach 5 Tagen Vietnam wagt sich zum ersten mal die Sonne heraus und versüsst mir den Abschied. Die Temperatur macht ebenfalls einen deutlichen Sprung nach oben und ich kann die Jacke weglassen. Toll! Mein Fahrer, der mir nun ganze 5 Tage zur Seite steht, heisst Tuan. Er spricht kein Wort englisch und ich bin mir sicher, dass wir damit einen Heidenspass haben werden. Er macht einen kurzen Abstecher, um mir seine Familie vorzustellen. Sie freuen sich, mich kennenzulernen und strahlen mich an. Mit Händen und Füssen erklären wir uns, wie wir heissen und wer hier Bruder und Schwester ist. So wie sie sich freuen mich zu sehen, bin ich möglicherweise ihr Monatseinkommen und mich überkommt ein Gefühl der Zufriedenheit. 

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Kleinere Städte und Dörfer ziehen vorbei. Reisfelder und Friedhöfe –  Reisfelder AUF Friedhöfen – Friedhöfe AUF Reisfeldern  – ich bin mir nicht sicher, aber da pflügen seltsame Wassertraktoren direkt neben Gräbern den Boden um – ein skurriler Mischmasch abseits der Strassen. Ob ich mit diesem Wissen weiter unbeschwert Reis essen kann… Wo wir gerade beim Essen sind: Tuan gibt mir irgendwann zu verstehen, dass wir uns jetzt ein leckeres Mittagessen verdient haben und steuert eine der unzähligen Garküchen am Wegesrand an. Ich bin nicht wirklich pingelig, dennoch entschliesse ich mich, hier lieber nichts zu essen, um meinen Vietnam-Aufenthalt „magenseitig“ möglichst ohne Blessuren zu gestalten. Ich hab das dumpfe Gefühl, irgendwann über diesen Schatten springen zu müssen und wie sich zeigen wird, wird es auch nicht mehr lange dauern. Tourismus scheint in dieser Ecke des Landes keine Rolle zu spielen denn niemand spricht auch nur einen Brocken Englisch. Ich versuche statt des „leckeren Mittagessens“ in einem Café (steht draussen dran) einen Kaffee zu bestellen. Die Dame versteht ernsthaft das Wort „Coffee“ nicht!? Ich bin über soviel Kenntnisfreiheit ein klein wenig gerührt und mag das naiv-fragende Gesicht der „Kaffeehausbesitzerin“. Wild gestikulierend werden wir uns irgendwann handelseinig und ich bekomme eine tief-braune Brühe, die ich nach kurzem Nippen, hustend stehen lasse.  

Hier im Vietnamesischen Nirvana, wo sich (aus Gründen) kein Tourist hin verirrt, reagieren die Leute – wenn sie mich sehen -unglaublich herzlich. Ich werde gegrüsst, beklatscht und manches Kleinkind soll mich anfassen dürfen. Gegen Nachmittag kommen wir in die Provinz „Nam Dinh“. Von weitem schon sieht man schon eine der riesigen Kathedralen, die nun fast im Minutentakt an uns vorbei ziehen. Die katholische Kirche spielt in dieser Provinz eine wesentlich größere Rolle, als im Rest des Landes. Der letzte Kaiser war katholischen Glaubens und diese Provinz war wohl sein zu Hause. Er prägte den Glauben in dieser Provinz. Katholische Kirchen wohin das Auge reicht und dutzende Läden aus der „Kirchenzulieferindustrie“. In den Kirchen wird fleissig gebetet und Schulklassen halten hier Religionsunterricht. So arm wie die Menschen hier leben, so prunkvoll sind die Kirchen gebaut und ausgestattet. Ein typischer Gegensatz. 

Am Abend kommen wir in Phát Diệm an und stoppen an der kaiserlichen Kathedrale. Die Kathedrale von Phát Diệm gilt seit über 100 Jahren als die Hochburg des Katholizismus in Vietnam. Die wunderschöne Dachkonstruktion wird von meterdicken, über 10 Meter hohenHolzpfeilern getragen. Ich bin sehr beeindruckt. Noch beeindruckender meldet sich jedoch mein Magen zu Wort, der nun so langsam beginnt – ob fehlendem Nachschubs – sich selbst zu verdauen. Ich gebe Tuan zu verstehen, dass ich bereit bin, mich der Herausforderung der Nahrungsaufnahme zu stellen und er fackelt nicht lange und steuert geradewegs auf ein (optisch gesehen) „russisches Bahnhofsklo“ zu. Fettige Plastikstühle, Wachstischdecken die das amerikanische Militär vergessen zu haben scheint und LED-Blinke-Bilder an der Wand. Es gibt keine Menü-Karte, stattdessen klopft mir Tuan auf die Schulter und deutet an, dass er sich um alles kümmern würde. Feiner Kerl!! Kurze Zeit später steht ein Berg gekochter Innereien eines Tieres auf dem Tisch, welche allen Anschein nach zu klein für ein Schwein und zu groß für ein Huhn ist. Ich tippe auf Hund oder Katze – vielleicht auch Mägen kleiner Ziegen – ich will es nicht wissen. Ich hab da heute auf der Strasse einiges an Gitterboxen voller zusammengequetschter toter Hunde und Katzen auf den Mopeds vorbeifahren sehen und werde diesen Anblick wohl niemals wieder vergessen. Mein Blick richtet sich flehend in Richtung Reis, doch seit ich die Gräber in den Reisfeldern gesehen habe, weiss ich nicht, was schlimmer ist… Mein Magen verdrückt ein Tränchen. Ich haaaaabe Hungääääärrrr!!!! In diesem Moment ruft Heiko an, um sich zu erkundigen, wie es mir geht. Gott was hat der Kerl für ein Timing! Gepriesen seist du!! Ich schildere mein Leid und wenige Minuten später kümmert sich seine vietnamesische Frau Ly via Telefon um mein Problem. Nachdem die Innereien wieder abgeräumt wurden, steht die „Köchin“ 10 Minuten später, voller Stolz und mit einer Riesenportion gekochter Schweine-Beinen vor dem Tisch. Mit Huf und Haaren!! Ich komme mir vor wie bei einer Dschungelcamp-Prüfung und bin kurz davor, in die Ecke zu kotzen. Ich schaue hilfesuchend in der Küche nach, was sonst noch im Angebot ist und entscheide mich für eine Art Seegras. Tuan lässt sich seine Freude an den Schweine-Beinen jedoch nicht verderben und sitzt mir vergnügt schmatzend und rülpsend gegenüber. Die Nicht-essbaren Knorpel und Knochen wirft er einfach unter den Tisch (was hier völlig normal zu sein scheint). Auch hustet er ständig in das Essen, welches vor uns auf dem Tisch steht. Ich bin am Rande der Verzweiflung, lasse mir allerdings nicht anmerken. Was für eine unwirkliche Situation. Ich schliesse beim Essen die Augen, um mich irgendwie zu beruhigen und siehe da: es klappt!

Die Nacht wird zeigen, ob ich das alles hier schadlos überstanden habe. Drück mir wie immer die Daumen!

Euer Stilpirat

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